Die residuale Hemmung ist ein interessantes Phänomen, dass jeder Tinnitus-Betroffene einmal selber ausprobieren kann.
Dazu muss man nur seinen Tinnitus durch einen externen Ton für eine kurze Zeit übertönen, schon 10 Sekunden sollten dazu ausreichen, und dann diesen externen Ton plötzlich abschalten. Bei sehr vielen Tinnitus-Betroffenen ist der Tinnitus dann erstmal verschwunden, kommt aber leider bereits nach wenigen Sekunden zurück.
Bei mir selber funktioniert das hervorragend. Am besten ist bei mir ein lauter Ton in etwa auf der Tinnitus-Tonhöhe geeignet. Aber auch ein breitbandiges Rauschen wie das von der Dusche kann funktionieren. Für etwa 1-3 Sekunden kann ich danach nicht hören, ob ich einen Tinnitus habe. Funktioniert das bei dir auch? Faszinierend, oder?
Interessanterweise gibt es auch Geräusche, die, obwohl sie laut sind, eher den Tinnitus verstärken. Man spricht hier von reaktivem Tinnitus. Manchmal ist das bei Umgebungslärm in einem Restaurant bei mir der Fall. Der Tinnitus scheint dann irgendwie lauter zu werden und verstärkt durchzukommen. Auch beim Autofahren habe ich diesen Effekt teilweise. Gerade am Anfang meines Tinnitus-Leidens war mein Tinnitus stark reaktiv. Zum Glück hat diese Eigenschaft deutlich nachgelassen.
Zu was ist residuale Hemmung nütze?
Leider zu nicht viel anderem, als um an sich herumzudoktern. Es gibt meines Wissens keine Möglichkeit den Effekt zu verlängern und so Ruhe zu genießen. Manchem mag die kurzzeitige Erleichterung dennoch gut tun. Andere mag es frustrieren, dass der Tinnitus stets zurückkommt.
Übrigens gibt es ja viele Therapieangebote, die auf eine klangliche Heilung des Tinnitus abzielen, wie z.B. Tinnitracks. Die Idee die residuale Hemmung zu nutzen und verlängern, hat bei der Entwicklung dieser Angebote sicherlich mitgewirkt. Allerdings ist mir nicht bekannt, dass diese Methoden wirksam wären.
Was kann mir die residuale Hemmung sagen?
Es lässt sich hier sicherlich viel über den Hintergrund spekulieren. Ich stelle im Nachfolgenden einfach mal meine Überlegung dazu vor.
Offensichtlich ist der T nicht einfach immer in seiner absoluten Stärke da, sondern baut sich in den wenigen Sekunden der residualen Hemmung erst auf.
Manche Tinnitus-Forscher (z.B. Jastreboff) sprechen beim Tinnitus sinnbildlich von einer Kerze. Diese soll im Dunkeln (Stille) hell leuchten und bei Tageslicht (Hintergrundgeräuschen) dagegen kaum auffallen. Dies ist aber weder in Übereinstimmung mit der Residualen Hemmung, noch mit meinen Erfahrungen der Reaktivität.
Man könnte als Erklärungsversuch auch einwerfen, dass durch den lauten externen Ton bei dem Hemmungsexperiment die Hörwahrnehmung etwas betäubt wird (in Jastreboffs Beispiel also die Beleuchtung ganz doll aufgedreht wird), und dass deshalb der Tinnitus danach für eine kurze Zeit einfach leiser wahrgenommen wird. Das kann ich allerdings persönlich nicht bestätigen, denn auch nach dem Duschen höre ich alles andere ganz normal laut und nur der Tinnitus ist kurz unterdrückt.
Erklärungsversuch
Mich erinnert der Effekt der residuale Hemmung an etwas, dass man auch bei einer Rückkopplung eines Lautsprechersystems beobachten kann: Kommt es zu einer Rückkopplung, weil das Mikrophon dem Lautsprecher zu nahe kommt, dann baut sich diese Rückkopplung erst allmählich auf und ein Pfeifen entsteht.
Wenn das Mikro dabei nicht allzu nah am Lautsprecher ist, tritt die Rückkopplung in der Regel erst dann auf, wenn es leise wird. Umgekehrt kann man eine leichte Rückkopplung auch durch einen höheren Hintergrundgeräuschpegel aufheben. Wird es dann wieder leise, baut sich die Rückkopplung wieder langsam auf. Ganz wie bei der Residualen Hemmung.
Der Reaktive Tinnitus stellt für mich dagegen eine Form der Verzerrung dar, wie wenn ein Lautsprechersystem übersteuert ist und die Signale in Sättigung gehen und deshalb merkwürdig klingen.
Für mich ist das ein Hinweis, wo ich die Ursache meines Tinnitus-Leidens suchen muss: In einem überreizten Nervensystem bzw. einer fehl geschalteten Hörverarbeitung. Neuronale Netze im Nervensystem kann man sich eigentlich ganz gut als analoges Audiosystem vorstellen, sie haben bekanntermaßen die Möglichkeit der Rückkopplung und auch eine Sättigung von Signalen ist möglich. Auch ist bekannt, dass das Gehirn plastisch ist und sich somit umstrukturieren kann. Nach allem was wir Wissen geht die Umstrukturierung unter ungünstigen Umständen auch mal schief, Maladaption genannt. Insofern stimme ich mit den vielen Forschern (wie z.B. Rauschecker) überein, die den überwiegenden Ursprung des Tinnitus in einem maladaptiven Prozess sehen.
Wenn man nun das Tinnitus-Leiden beheben oder vermindern möchte, ist es vermutlich am erfolgversprechendsten so auf das Nervensystem einzuwirken, dass es sich beruhigen und wieder zur Normalität zurückfinden kann.
Das klingt trivial? Ist es aber nicht.
Das Warum beschreibe ich in einem folgenden Beitrag.